Der russische Nudol-Anti-Satelliten-Test – eine kurze Analyse
Vor einigen Tagen gab Russland bekannt, am 15. April 2020 einen Test des Nudol-ASAT-Systems durchführen zu werden. Tatsächlich ist anschließend ein solcher Test registriert worden. Die bodengestützte ballistische Rakete startete vom Testgelände in Plesetsk, im Nordwesten Russlands. Was ist dazu bislang bekannt und welche Absichten könnten dahinter stecken?

Das Nudol-ASAT-System: Konstruiert für Ziele in der niedrigen Erdumlaufbahn
Insgesamt ist nur wenig über das Nudol-Antisatelliten-System bekannt, was bislang viele Spekulationen zuließ. So existieren unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Maximalhöhe die ballistische Rakete erreichen kann. Das System ist jedoch in der Lage, Ziele in der niedrigen Erdumlaufbahn (LEO) abzufangen. Auch wenn dieser Raketenstart auf dem Testgelände in Plesetsk erfolgte, ist eine flexible Anti-Satelliten-Operation durch eine mobile Raketenstartrampe (Transporter erector launcher, TEL) möglich. Laut Secure World Foundation, erfolgten seit 2014 sieben bestätigte Tests, von denen vier womöglich erfolgreich waren. Zwei weitere sind bis heute unbestätigt [1]. Der kürzlich erfolgte Einsatz des Nudol-Systems ist damit der achte, beziehungsweise zehnte bestätigtige Test. Es ist unklar, ob Russland mit dieser Erprobung ein Zielobjekt vor Augen hatte. Zum Startzeitpunkt befand sich zwar ein alter Satellit mit der Designation Kosmos 1356 in der richtigen Position. Aus offizieller Seite gab es dazu jedoch keine Stellungnahme. Beim Vorgang wurde kein Weltraumschrott erzeugt, was auf einen nichtdestruktiven Test hinweist. Es ist möglich, dass bewusst ein nichtdestruktiver Test erfolgte, da die Erzeugung von Weltraumschrott ein internationales Reputationsverlust für Russland hätte bedeuten können. Diese Annahme ist insofern berechtigt, da Weltraumschrott die internationale Sicherheit zunehmend gefährdet und deshalb in das Bewusstsein vieler Staaten tritt. Trotz dessen zielte dieser Test sicherlich auch darauf ab, Russlands Entschlossenheit und militärische Stärke zum Ausdruck zu bringen.
Die U.S. Reaktion: Eine russische Politik der Zweigleisigkeit
Das U.S. Space Command (Weltraumkommando) erklärte in einem Statement, dass es über diesen Anti-Satelliten-Test informiert ist und ihn verfolgt. Laut General John W. “Jay” Raymond, USSPACECOM-Kommandeur und Chief of Space Operations der U.S. Space Force, ist dieser ASAT-Test ein weiteres Beispiel dafür, dass die “Bedrohungen für die amerikanischen und verbündeten Raumfahrtsysteme real, ernst und wachsend sind”. Er erklärte weiter, dass die “Vereinigten Staaten bereit und entschlossen sind, Aggressionen abzuschrecken und die Nation, [ihre] Verbündeten und die Interessen der USA vor feindlichen Handlungen im Weltraum zu verteidigen”. Auch wird mit diesem militärischen Test Russlands Politik der Zweigleisigkeit kritisiert. Während sich das Land auf diplomatischer Ebene seit Jahren für eine Rüstungskontrolle im Weltraum einsetzt, handelt es auf politischer Ebene entgegengesetzt.
Mögliche Absichten hinter diesem Test
Diese Politik der Zweigleisigkeit ist interessant, denn es wirft die Frage auf, warum sich Russland für eine verbindliche Rüstungskontrolle einsetzt, aber politisch entgegengesetzt handelt. Dafür dient der chinesische Antisatelliten-Test von 2007 als sinnvoller Vergleich, da China eine ähnliche Politik im Weltraum verfolgt. So könnte es ein übergeordneter Zweck sein, mit solchen militärischen Mitteln die USA zu einer Rüstungskontrolle im Weltraum zu bewegen. Dies war schon der Kerngedanke chinesischer Analysten nach der Erprobung 2007 [2]. Es ist bekannt, dass die USA seit Jahren als treibende Kraft, sämtliche Resolutionsentwürfe zur Rüstungskontrolle im Weltraum seitens Russland und China strikt ablehnen. Aus ihrer Sicht zielen diese Resolutionen im Wesentlichen darauf ab, die USA in ihren Fähigkeiten einzuschränken – ein wahrgenommener diplomatischer Winkelzug also. Tatsächlich wird in diesen Entwürfen deutlich, dass bodengestützte ballistische Raketen, wie das Nudol-System, nach russischer Definition keine Weltraumwaffen sind – Für die USA ein Problem. Eine weitere Annahme ist in diesem Zusammenhang, dass China und Russland sich dem Potenzial für das Scheitern einer Rüstungskontrolle im Weltraum bewusst sind und durch Forschung und Entwicklungen sowie Tests eine Absicherungsstrategie verfolgen. Allerdings geben derzeit auch weltraumpolitische Entwicklungen der USA Anlass zu solchen Maßnahmen. Beispielsweise deutete der erste stellvertretende Verteidigungsminister General Valery Gerasimov kürzlich an, dass die Weltraumpolitik der Trump-Administration “zu einer Eskalation der militärisch-politischen Lage und zum Entstehen neuer Bedrohungen führen [kann]”, was “gegenseitige und asymmetrische Maßnahmen Russlands” im Weltraum rechtfertigt [3].
Die Erprobung des Nudol-ASAT-Systems verdeutlicht einmal mehr, dass das Weltraumregime globalen und regionalen Machtdynamiken unterliegt. Sicher ist, dass Tests in dieser Form auch künftig stattfinden werden, da sie militärischer Bestandteil dieser geopolitischen Dynamiken sind. Vor diesem Hintergrund ist es interessant zu fragen, wie weit militärische Handlungen in Zukunft gehen könnten und ob sie sich positiv oder negativ auf die Entwicklung von internationalen Normen auswirken werden.
Quellen:
[1] Weeden, Brian/ Samson, Victoria (2020): Global Counterspace Capabilities: An Open Source Assessment. S.2-12. URL: https://swfound.org/media/206955/swf_global_counterspace_april2020.pdf (Zugriff: 16.04.2020).
[2] Kan, Shirley (2007): China’s Anti-Satellite Weapon Test. CRS Report for Congress. S.5. URL: https://fas.org/sgp/crs/row/RS22652.pdf (Zugriff: 16.04.2020).
[3] Harrison, Todd et al. (2020): Space Threat Assessment 2020. S.21. URL: https://aerospace.csis.org/wp-content/uploads/2020/03/Harrison_SpaceThreatAssessment20_WEB_FINAL-min.pdf#page=52 (Zugriff: 16.04.2020)